Der Zölibat wird heute nicht mehr verstanden; so Kardinal Lehmann. Wie Recht er hat, aber nicht nur der Zölibat, auch die Sakramente der Eucharistie und der Buße werden heute nicht mehr verstanden. Die Strategen der neuen Kirche haben hier ganze Arbeit geleistet: schleichend und so für das Kirchenvolk kaum wahrnehmbar sind das Priesteramt und diese Sakramente umgedeutet und so begrifflich ausgehöhlt worden, dass nur noch eine Fassade steht: Die Vorstellung von dem Priester als Mittler zwischen Gott und den Menschen, der das Erlösungswerk Christi fortsetzt, ist mittlerweile dem Kirchenvolk ebenso obsolet wie vielen Priestern. Dieser wird mittlerweile nur noch als Mitglied eines pastoralen Teams gesehen, das die Gemeinde wie einen Verein zur Solidarität mit den im Leben zu kurz gekommenen, mit einem abwechslungsreichen Programm unterhält. Der Priester ist so auch in seiner eigenen Wahrnehmung nur noch ein Akteur der Religionssoziologie: Religion als soziologisches Phänomen zur Vermittlung von gesellschaftlich wichtigen Werten, die ein gedeihliches Zusammenleben garantieren. Der Zölibat ist für einen solchen Sozialingenieur genauso sinnlos, ja geradezu masochistisch und unverständlich wie das Weihepriestertum. Der Zölibat ist bestenfalls noch anziehend für Homosexuelle, die unter dem Schein einer bürgerlichen Existenz sich für ihre Lebensform nicht rechtfertigen müssen. Dass der Priester auch äußerlich nicht mehr von einem beliebigen Angestellten zu unterscheiden ist, gehört ebenso zu seiner neuen Identität.
Wo das Weihepriestertum keine Rolle mehr spielt, kann auch das Sakrament der Eucharistie einer alleinigen symbolischen Deutung nicht widerstehen; denn wie kann der Priester in seinem neuen Selbstverständnis das unblutige Kreuzesopfer vollziehen können und wollen. Am entscheidendsten hat aber der Novus Ordo der Eucharistie ihren sakramentalen Charakter geraubt; damit ist gleichsam die Profanierung in dieses Sakrament eingebrochen: die Opferfeier als heiliges Spiel, ein bitterernstes zur Ehre Gottes mit einer eigenen liturgischen Sprache ist zu einer Mahlfeier für alle verkommen. Mit der Abschaffung des klassischen römischen Ritus ist auch das Messopfer faktisch eliminiert worden. Bei einer Mahlfeier für alle kann die Realpräsenz keinen Platz mehr haben; denn auch sie kann ja im neuen Kontext nicht mehr verstanden werden, sodass sie mitunter von den Priestern als antiquierte Vorstellung belächelt wird.¹ So ist die „Kommuniongabe“ – das Wort „Spendung“ ist hier nicht mehr zutreffend – an geschiedene Wiederverheiratete nur konsequent.
Wo die Realpräsenz offen geleugnet oder faktisch, wenn auch unausgesprochen, nicht ernstgenommen wird – die Handkommunion und die Kommunionhelfer/innen als Zeichen der Profanierung sind nur Ausdruck dieser Haltung – und wo konsequenterweise alle zur Kommunion gehen, ist auch das Bußsakrament schlichtweg überflüssig. So ist es auch von der neuen Kirche als Versöhnungsfeier durch Umdeutung profaniert worden und wird bestenfalls noch als Psychotherapie gesehen, was seiner Abschaffung gleichkommt: denn welcher Gläubige könnte zu einem Priester zur Beichte gehen, wenn er annehmen müsste, dass dieser Priester sich nur noch für einen religionssoziologischen Akteur hält, und welcher Priester der neuen Kirche könnte noch die Beichte hören, wenn er kein Theater spielen möchte.² Das sei alles der Säkularisierung geschuldet, meint die neue Kirche entschuldigend, aber nur scheinbar entschuldigend, da sie die Säkularisierung mit ihrer alleinigen soziologischen Binnensicht ja kräftig befeuert und sich damit sehenden Auges protestantisiert und so gewollt selbst wegrationalisiert.
¹ Nach einer Mitteilung von Erzbischof Becker von Paderborn, von der Gebrauch gemacht werden darf, glaubt die Mehrzahl seiner Priester nicht mehr an die Realpräsenz.
² So hat auch konsequenterweise ein Pater in einem bekannten Wallfahrtsort dem Beichtenden sinngemäß gesagt, dass er die Beichte für Theater hält, und in einer Frankfurter Pfarrei hat auch mal ein protestantischer Pastor die Beichte gehört.